Mathematische Analyse und Modellierung des Expansionsverhaltens von Stents
Iris Grabmair, Zentrum Mathematik, Zentralinstitut für Medizintechnik
Projekt, Sommersemester 2005
Projektbeschreibung
Seit mehreren Jahren ist es in der Medizin Standard, bei Verengungen in den Herzkranzgefäßen Stent-Implantationen durchzuführen. Dabei wird in der Gefäßverengung, auch Stenose genannt, mithilfe eines Katheters ein um einen Ballon gewickeltes zylindrisches Drahtgeflecht platziert, der so genannte Stent. Durch Aufpumpen des Ballons wird der Stent aufgedehnt und nach Entfernen des Ballons stützt er dauerhaft diese vormals verengte Gefäßstelle.
In der Praxis gibt es aber das Problem der Restenose: Der Draht kann während der Expansion die Gefäßinnenwand verletzen, dadurch wird der Selbstheilungsprozess in Gang gesetzt und die Produktion neuer Zellen ausgelöst. Aufgrund dieser "Zellwucherung" entsteht erneut eine Stenose.
Die Ausgangsfrage für das Projekt ist, wie die durch den Stent auf die Gefäßwand ausgeübten Verzerrungen - damit sind Dehnungen und Torsionen gemeint - mit der Restenoserate in Zusammenhang stehen. Als Ausgangsdaten betrachten wir Hochgeschwindigkeitsaufnahmen einer Stentexpansion in einer künstlichen Stenose. Auf der Stenosenoberfläche aufgedruckte Referenzpunkte dienen zur Ermittlung der Verzerrungen.
In der nachfolgenden Abbildung ist die Stenose im expandierten Zustand (bei
16 bar Druck) zu sehen.
Zuerst extrahieren wir aus den Einzelaufnahmen des Hochgeschwindigkeitsfilms die 2D-Bildkoordinaten der Referenzpunkte. Wir nutzen dazu Kantendetektions- und Segementationsalgorithmen aus ImageJ. Mit Hilfe eines erstellten 3D-Modells der Stenose projezieren wir die Bildpunkte auf die Stenosenoberfläche und erhalten so 3D Koordinaten für jeden Aufnahmezeitpunkt. Durch Taylorentwicklungen des Oberflächenmodells der daraus resultierenden Formel zur Berechung des Deformationsgradienten bestimmen wir dann die zwischen den Referenzpunkten auftretenden Verzerrungen.
Zur Durchführung dieser Analysen und zur Ergebnisvisualisierung haben wir ein Matlab-Programm erstellt.
Damit können nun verschiedene Stentmodelle automatisch qualitativ und quantitativ ausgewertet werden. Im Vergleich mit der Restenoserate aus der medizinischen Praxis konnten wir die Vermutung über den Zusammenhang zwischen großen Verzerrungen und hoher Restenoserate bestätigen.
Beispiel
Zur Veranschaulichung betrachten wir die radiale Dehnung bei steigenden Druckwerten im Ballon, also die Dehnung in Umfangsrichtung der Stenose. In den
nachfolgenden Abbildungen ist - von links nach rechts - die radiale Dehnung bei
3 bar, 4 bar, 8 bar und 16 bar Druck zu sehen. Dabei entspricht die horizontale
Achse der Mittelachse der Stenose, sie ist mit einer Millimeterskalierung
versehen. Vertikal ist die radiale Dehnung aufgetragen.
Sehr auffällig ist der starke Anstieg der Dehnung im Bereich zwischen 3 und 4
bar; dort treten große Kräfte auf, die die Gefäßverenung öffnen. Zwischen 0 und 4 bar springen nach und nach
die einzelnen Bauelemente des Stents auf. Bei 4 bar ist der Stent komplett
"offen". Ab diesem Zeitpunkt wird der Stent als Ganzes weiter aufgedehnt. An den
Graphiken zu 4 bar, 8 bar und 16 bar sieht man die Linearität der
Maximalwerte, dies entspricht einem logarithmischen Wachstum.
An allen vier Graphiken erkennt man eine ähnliche Struktur: Wie erwartet
sitzt etwa in der Mitte der Stenose ein globales Maximum. Desweiteren sind zwei
lokale Maxima am linken und rechten Rand der Stenose zu sehen, die wir
folgendermaßen erklären können: Der Ballon ragt an beiden Enden ein Stück aus
dem Stent heraus und kann an diesen Stellen die Stenose mit geringerem
Widerstand aufdehnen.
Betreuung
- Dr. Brigitte Forster-Heinlein, Zentrum Mathematik, TU München
- Dr.-Ing. Thomas Schratzenstaller, Fakultät für Maschinenwesen, TU München